Macht uns Achtsamkeit nachhaltiger? Ein Blick in die Wissenschaft.
Achtsamkeit ist längst kein spirituelles Relikt aus Buddhas Zeiten mehr. Kontemplative Techniken wie Meditation oder Yoga erfreuen sich heutzutage großer Beliebtheit. Zudem ist Achtsamkeit inzwischen zu einem modernen und intensiv beforschten Wissenschaftsgebiet avanciert.
Auch das Interesse der Nachhaltigkeitsforschung an diesem „neuen“ – oder besser gesagt „jahrtausendealten“ Konzept steigt.
Langsam scheint durchzusickern, dass eine nachhaltige Zukunft nicht allein über technologische Innovationen, politische Maßnahmen oder rein äußerliche Korrekturen gelingen kann. Vielmehr brauchen wir einen großen, gesellschaftlichen Shift von materiellen hin zu post-materiellen Werten, von egozentrischen hin zu biozentrischen Weltbildern. Die bisherigen Ansätze konnten das jedoch nicht bewerkstelligen.
Was kann Mindfulness zum Wandel beitragen?
Ist Achtsamkeit in der Lage, uns zu umweltfreundlicheren Menschen zu machen? Werden wir nachhaltiger, wenn wir mehr meditieren? Wir haben uns die wissenschaftliche Literatur angesehen und präsentieren hier die wichtigsten Learnings:
1. Achtsamkeit fördert das subjektive Wohlbefinden
Achtsamkeit kann Stress, Depressionen und Ängste reduzieren – und kognitive Leistungen wie die Konzentrations- und Entscheidungsfähigkeit verbessern. Auch die emotionale Stabilität und die psychologische Resilienz nehmen zu. Wir werden klarer im Kopf, sind kreativer und insgesamt einfach positiver drauf. Für die Nachhaltigkeit hat das immense Auswirkungen! Denn wenn wir uns selbst nicht gesund oder glücklich fühlen, haben wir wohl kaum die nötige Energie, uns für Umweltschutz oder soziale Themen einzusetzen. So zeigen auch zahlreiche Studien, dass sich glückliche Menschen eher umweltfreundlich verhalten als unglückliche Menschen.
2. Achtsamkeit stärkt intrinsische Werte
Wir wissen heute, dass Menschen mit extrinsischen Werten wie z.B. finanzieller Erfolg, Macht, Status oder Image weniger umweltfreundlich handeln als Menschen mit intrinsischen und nicht-materiellen Werten wie z.B. Sinnstiftung, gelingende Beziehungen, oder Zeitwohlstand. Achtsamkeit stärkt intrinsische Werte, indem wir mehr Klarheit über unsere eigenen Werte erlangen und beginnen, in Übereinstimmung mit diesen zu handeln. Wenn wir wissen, was für uns selber zählt, sind wir auch weniger empfänglich für die Beeinflussung durch andere oder durch die Werbung. Der Drang nach materiellen Besitztümern nimmt dadurch ab.
3. Achtsamkeit bricht mit alten Gewohnheiten
Vieles von unserem Konsumverhalten läuft automatisiert ab und ist weit mehr von unbewussten Routinen beeinflusst als von achtsamen Überlegungen. Wir tun einfach, weil wir immer schon so getan haben. Achtsamkeit kann helfen, solche Gewohnheiten zu stoppen und zwanghafte Konsummuster zu brechen. Wir nehmen eigene Gedanken und Gefühle besser wahr, erlangen Flexibilität und Wahlfreiheit in unserem Verhalten und brechen leichter aus Automatismen aus. Da die Selbstkontrolle zunimmt, können wir unseren eigenen Lebensstil viel bewusster wählen.
4. Achtsamkeit führt zu pro-sozialem Verhalten
Achtsamkeit erhöht die Empathie und das Mitgefühl für andere Menschen, es stärkt den Altruismus und die soziale Kohäsion, wir hören besser zu, kommunizieren besser und sind insgesamt auch kooperationsfähiger. Zudem steigt das Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen und mit der Welt um uns herum, was wiederum weitreichende Konsequenzen für die Nachhaltigkeit hat. Wenn Empathie die Grundlage unseres Handelns ist, sorgen wir uns mehr um das Wohlergehen anderer und sind viel eher bemüht, negative Beeinträchtigungen für andere Menschen oder Gruppen (z.B. künftige Generationen) zu vermeiden.
5. Achtsamkeit stärkt die globale Identität
Achtsamkeit macht uns nicht nur sozialer, sondern auch weltverbundener! Die Wissenschaft bezeichnet das als „Global Identity“ – ein Gefühl von Verbundenheit mit Menschen auf der ganzen Welt und eine Sorge um ihr Wohlergehen. Durch Meditation kultivieren wir einen transpersonalen Zustand, in dem sich die persönliche Ich-Identität ausdehnt auf die gesamte Menschheit und das Leben selbst. In einer Studie hat man herausgefunden, dass Menschen mit einer hohen „Global Identity“ eher umweltfreundlich handeln, dem Klimawandel tendenziell eine höhere Relevanz zuschreiben und klimapolitische Maßnahmen eher unterstützen als Menschen mit geringer „Global Identity“.
Fazit
„Ecological Mindfulness“ ist ein noch sehr junges Forschungsfeld und viele Zusammenhänge sind bisweilen noch unerforscht. Dennoch zeichnet sich schon jetzt deutlich ab, welch großes Potenzial für den Umwelt- und Klimaschutz im Bereich der Achtsamkeit liegt.
Wir freuen uns über diese Entwicklung, denn sie zeigt eines klar: Wenn wir wieder mehr mit uns selbst verbunden sind, mehr zu uns selbst finden, dann leben wir auch bewusster, achtsamer und mehr in Einklang mit anderen Menschen und der Natur!
Quellenangaben:
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